Helvetische Vorläufer des Burkaverbots

Dieser Beitrag erschien zuerst auf dem Blog History Reloaded.

Politisch gesehen, ist die Burka derzeit das wohl heisseste Kleidungsstück. Die Tessiner nahmen 2013 eine Volksinitiative an, welche die Verhüllung im öffentlichen Raum verbietet. An diesem Sonntag wird Glarus an der Landsgemeinde über einen Antrag mit gleichem Inhalt abstimmen. Und auf nationaler Ebene sammelt das «Egerkinger Komitee» um SVP-Nationalrat Walter Wobmann Unterschriften für ein «Burkaverbot» (wobei es genau genommen vor allem um den Gesichtsschleier Nikab geht). Noch bis im September hat die Gruppe Zeit, die nötigen 100’000 Unterschriften zusammenzubringen – drei Viertel hat sie bereits.

Dass Kleider nicht nur Leute, sondern auch Staat machen, gilt nicht erst, seit Politiker Vollverschleierung und Ganzkörperbadeanzüge verbieten wollen. Bereits in der frühen Neuzeit gab es fast überall in Europa teils sehr weitgehende Kleidervorschriften und -verbote. So untersagte die St. Galler Obrigkeit der Bevölkerung 1503 das Tragen jeglicher kurzer Kleider. Vorausgegangen waren Klagen über junge Frauen, die ihre «Herzen und Hälse» in unsittlicher Weise entblösst hätten.

Standesunterschiede sichtbar machen

Sogenannte Kleidermandate gab es in vielen Kantonen – ob katholisch oder protestantisch –, es gab sie in den Städten ebenso wie auf dem Land. Begründet wurden solche Vorschriften meist mit der Wahrung von Sitte und Moral. Oft führte die Obrigkeit zudem ins Feld, man müsse das Volk vor sich selber schützen: Es gelte zu verhindern, dass die Leute übermässig viel Geld ausgeben und sich in die Armut stürzen um der Mode willen. Die Verbote betrafen daher oft teure Kleidungsstücke, Schuhe oder aufwendige Verzierungen. Vielfach wurden auch Preisobergrenzen für bestimmte Stücke festgelegt.

Stark dürfte aber eine andere Motivation mitgespielt haben: Die herrschenden Kreise wollten mit den Kleiderregeln die Unterschiede zwischen den Gesellschaftsschichten aufrechterhalten und öffentlich sichtbar machen. Dies erklärt auch, warum die Vorschriften im 17. Jahrhundert immer detaillierter wurden: In allen Kantonen war damals eine zunehmende Aristokratisierung zu beobachten. Die adlige Oberschicht nabelte sich vom Rest der Bevölkerung ab und wollte ihren Status öffentlich demonstrieren.

Selten legten die Herrschenden ihre Absichten so offen dar wie in Basel 1637, wo der Kleine Rat eine neue, fast 20 Seiten lange Kleiderordnung explizit mit der Befürchtung begründete, dass «eines jeden Wesen und Stand nicht mehr erkent werden mag».

Die Ratsherren erliessen deshalb für jede soziale Gruppe unterschiedliche Anweisungen, was deren Angehörige tragen durften und was nicht. So war Dienstknechten und Taglöhnern das Tragen von genähten Hüten untersagt – sie durften ihre Köpfe lediglich mit Filzhüten bedecken. In St. Gallen waren Kleider aus Damast oder Seide adligen Frauen vorbehalten, ebenso «Bändelchen und Zöttelein», während in Glarus Frauen, die von der Armenfürsorge lebten, bestimmte Kleidungsstücke untersagt waren, beispielsweise seidene Halstücher. Häufig gab es zudem geografisch abgestufte Regeln: So waren in Bern gewisse Kleidungsstücke nur den Städtern erlaubt, auf dem Land hingegen verboten – etwa gefaltete Hosen.

Zwei Jahrhunderte Ruhe

Schneider waren von den Kleidervorschriften ebenfalls betroffen und mussten mit saftigen Bussen rechnen, wenn sie Textilien fertigten, die nicht erlaubt waren. Gleichzeitig wussten sie sich die Vorschriften aber auch zunutze zu machen, um sich unerwünschte ausländische Konkurrenz vom Leib zu halten: Vielfach beschränkten sich Verbote auf importierte Stücke (angeblich, weil diese zu teuer waren), wodurch die einheimischen Produzenten ein Monopol erhielten.

Bei den Konsumenten waren die strengen Vorschriften allerdings nicht sonderlich beliebt. Mit der Aufklärung und der Französischen Revolution stiess die Idee, dass der Staat den Bürgern vorschreiben sollte, was sie zu tragen hatten, zunehmend auf Ablehnung. Die Industrialisierung liess zudem die alten Standesunterschiede verschwimmen. Die Behörden hatten immer mehr Mühe, die Regeln durchzusetzen. Mit der helvetischen Revolution 1798 fielen die Kleidervorschriften endgültig.

Es sollte bis zum 21. Jahrhundert dauern, bis die Idee eines staatlichen Kleidermandats ihr Comeback gab – nun in einem ganz anderen Kontext. Jetzt geht es nicht mehr um die Betonung von Unterschieden, sondern eher um Angleichung. Und während früher mit einer Strafe rechnen musste, wer zu wenig trug, scheint man heute eher das Gegenteil als Gefahr zu sehen.

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