«Seit 2004 organisiert das DISUD[*]
jährlich eine wissenschaftliche Studienreise in die Schweiz, bei der die Teilnehmer mehr über die direkte Demokratie in der Schweiz erfahren sollen. Dabei besuchen wir neben Universitäten jeweils auch eine Landsgemeinde. Für einen Deutschen ist es schwer vorstellbar, dass die Bürger über ihre Angelegenheiten selber entscheiden, und das mit einer erstaunlichen Disziplin. Bei diesem Anblick bekommt mancher Reiseteilnehmer feuchte Augen.
Ich habe Anfang der 1980er Jahre im Rahmen meines Studiums begonnen, mich mit direkter Demokratie zu beschäftigen. Mir fiel auf, dass vieles, was in den juristischen Lehrbüchern stand, undifferenziert oder schlicht falsch war. Noch immer sind die Vorbehalte gegenüber Volksentscheiden innerhalb der Eliten in Deutschland sehr gross. In den letzten Jahrzehnten hat sich aber einiges getan. In den 1980er Jahren galt direkte Demokratie in Deutschland als Teufelszeug. Inzwischen hat sich vieles verändert. Die Regelungen wurden in den Ländern und Kommunen zum Teil neu eingeführt oder reformiert.
Übrigens sieht das deutsche Grundgesetz auch die Möglichkeit von Gemeindeversammlungen vor. Derzeit existieren sie einzig in Schleswig-Holstein, doch in anderen Bundesländern wird darüber diskutiert, ob man den Kommunen diese Möglichkeit ebenfalls geben sollte. Natürlich bin ich mir bewusst, dass sich viele Schweizer Gemeinden von ihren Gemeindeversammlungen verabschieden, und auch mehrere Kantone die Landsgemeinde abgeschafft haben. Ich frage mich allerdings, ob sie dies nachträglich nicht bedauern. Es scheint mir, dass die Menschen Institutionen brauchen, die sie mit dem Gemeinwesen verbindet. Jedenfalls nimmt in Deutschland das Interesse an der Versammlungsdemokratie zu. Die nächste Reise in die Schweiz, die wir organisieren, ist bereits ausgebucht.
Befürworter der Volksrechte in Deutschland haben zuletzt wieder Zweifel an diesen Instrumenten bekommen: Brexit, Rechtspopulismus in den europäischen Staaten sind hier ursächlich. Allerdings ist das Niveau der Diskussion bei Wahlen und Abstimmungen gleichermassen abhängig von der jeweils herrschenden politischen Kultur. Man muss nicht Wahlen oder Abstimmungen abschaffen; vielmehr gilt die Arbeit der politischen Kultur.»
[*] Das Deutsche Institut für Sachunmittelbare Demokratie (DISUD) in Dresden wurde 2004 von Peter Neumann gegründet. Es führt jedes Jahr eine wissenschaftliche Konferenz zur direkten Demokratie durch und gibt mehrere wissenschaftliche Schriftenreihen heraus.